Mariendarstellung - Dorfkirche Retschow
Maria in der Kirche Retschow
Das Bildprogramm sowohl der Wandmalereien als auch des Altars der Retschower Kirche zeigt zahlreiche Mariendarstellungen und Szenen aus dem Leben Marias.
Die Heilige Sippe
Der Altar in unserer Kirche entstand etwa 100 Jahre nachdem die Kirche geweiht wurde. Er wurde zwar nicht für die Retschower Kirche geschaffen, sondern aus einer anderen Kirche hierher gebracht. Seine Gestaltung passt trotzdem sehr gut zum gesamten Bildprogramm, mit Maria im Mittelpunkt. Zwei der Tafelbilder zeigen das besonders deutlich. Auf dem Bild links der Mitte ist eine in den 1990er Jahren restaurierte Szene mit der „Heiligen Sippe“ zu sehen. Zentrale Figur ist Maria mit Jesus als Säugling auf dem Schoß, hinter ihr steht ihre Mutter, Anna. Im Mittelalter, als dieser Altar entstand, war der Schutz innerhalb der Familie für die Menschen sehr wichtig. Das Leben war beschwerlich und gefährlich und die Menschen brauchten den Rückhalt möglichst vieler Familienmitglieder, die ihnen zugetan waren und sie unterstützten. In der Vorstellung der Künstler jener Zeit hat wahrscheinlich ein so besonderer Mensch wie Jesus, der - lax ausgedrückt – überall aneckte, eine besonders große und gut funktionierende Familie nötig. Und in diesem Bild haben sie ihm diese Familie gegeben. Aus der Bibel belegen lässt sich diese Verwandtschaft nicht, aber wir stellen sie Ihnen trotzdem vor:
Links und rechts von Maria sitzen ihre beiden Schwestern – die ebenfalls Maria heißen. Anna war nacheinander dreimal verheiratet: mit Cleophas, aus der Ehe ging Maria Cleophas hervor, Salomas mit der Tochter Maria Salomas, und Joachim – wenn man so will dem Großvater Jesu.
Marias Schwestern hatten natürlich auch Kinder – ausschließlich Söhne – die später die Hälfte der Jünger Jesu stellten: Judas Thaddäus, Simon, Jacobus der Ältere und der Jüngere, Johannes der Evangelist und Johannes der Täufer (Josef der Gerechte?)
Im Hintergrund stehen dann auf der einen Seite Annas Ehemänner Joachim, Cleophas und Salomas, auf der anderen die Ehemänner der drei Töchter: Josef, Zebedäus und Alphäus.
Tafelgemälde Mariä Verkündigung auf dem Altar
Auf der äußersten rechten Seite Sehen Sie ein Gemälde, auf dem Mariä Verkündigung dargestellt ist. Leider ist die Maria darauf kaum mehr zu erkennen. Wichtige Details aber haben dem Verfall bisher widerstanden. So sehen Sie hinter Maria – vielleicht eher unwichtig, aber für die Bildgestaltung doch von Bedeutung – einen Strauß Lilien. Die Lilie ist eine der Madonnenpflanzen, sie steht für Reinheit und Jungfräulichkeit. Natürlich groß dargestellt der Engel Gabriel, der zu Maria gekommen ist, um ihr zu sagen, wozu Gott sie ausersehen hat. Der Tag, an dem dies geschieht, ist übrigens der 25. März, neun Monate vor der Geburt Christi zu Weihnachten, in katholischen Gemeinden wird er noch heute als Festtag begangen. Auf unserem Altar sind es die kleinen Details der Verkündigungsszene, die das Gemälde so besonders machen. Sie sehen ganz oben in der Ecke das Gesicht eines weißhaarigen, gütigen alten Mannes – dies ist Gott, von dem ein Lichtstrahl zu Maria hinführt. Auf diesem Lichtstrahl purzelt ein sehr lebensechter Säugling auf Maria zu, der bereits das Kreuz auf der Schulter hat als Zeichen für Gottes umfassenden Plan. Direkt über Maria, das erkennen Sie nur bei genauem Hinsehen, schwebt eine weiße Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Dieses Bild weist zwei besondere Details auf: Das Kreuz, das das Jesuskindlein auf dem Rücken träge, ist ein so genanntes Taukreuz. Und das Zepter des Engels weist ein Schlussornament auf, das sich auf den Zeptern der Rostocker Universität wiederfindet. Diese beiden Details lassen darauf schließen, dass eine Rostocker Werkstatt diesen Altar geschaffen hat.
Anna-Selbdritt-Figur im Altar
Über die Familie, die um Jesus gesponnen wurde, haben wir bei den Tafelgemälden bereits gesprochen. Auch die Prunkseite unseres Altars, mit ihren geschnitzten und vergoldeten Heiligenfiguren, zeigt Darstellungen, die einen Einblick ins Familienleben dieser herausgehobenen Sippe geben. Links von der zentralen Szene sehen Sie eine Dreier-Gruppe – eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm und ein blondes, gekröntes Mädchen, das dem Kind eine goldene Kugel reicht – vielleicht ein Symbol für die Welt. Hier sind Großmutter, Mutter und Kind vereint in einer so genannten Anna-Selbdritt-Darstellung. Die erwachsene Frau ist Anna, mit dem Jesuskind auf dem Arm. Ihr zur Seite steht ihre Tochter Maria. Maria war sehr jung, als sie Jesus gebar – und eigentlich schutzlos. Dass Josef ihr zur Seite stand, nehmen wir heute als selbstverständlich. Im Mittelalter mag das anders gewesen sein, als ein Mädchen, das nicht von seinem Ehemann schwanger war, mit Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Anna, die ja nach dem Bild von der Heiligen Sippe die Großmutter von sechs Jüngern Jesu und auch ihm selbst war, scheint in dieser Darstellung Tochter und Enkel zu beschützen. Die goldene Krone trägt Maria, als Zeichen dafür, welche in dieser Darstellung die Heilige ist. Damit sie ihr Kind gebären konnte, so unbefleckt, wie es die Bibel beschreibt und die Kirche später betonte, brauchte sie die Unterstützung ihrer Mutter. Auf der Stärke dieser beiden Frauen ruht die gesamte folgende Entwicklung. Während die Rolle der Frau in der Realität vor mehr als 700 Jahren solche Stärke und Selbstbewusstsein kaum zuließ, wurde Maria und auch ihrer Mutter große Verehrung zuteil.
Marien-Krönung als Zentrum des Altars
Beinahe noch stärker kommt diese Verehrung im zentralen Bild des Altars zum Ausdruck: Marias Krönung durch Jesus im Himmel. Der 15. August, das Fest der Aufnahme Marias in den Himmel, war das zentrale Fest des Zisterzienserordens. Und dieses Bild, in dem Maria durch ihren Sohn die Krone aufgesetzt wird, ist das zentrale Bild unserer Kirche. Wer durch die Tür im Westen eintritt, steht ihm die meiste Zeit des Jahres von Angesicht zu Angesicht gegenüber. (während der Karwochen wird unser Altar geschlossen, dann ist diese Szene nicht zu sehen). Wie stark die Verehrung dieser Frau aus dem Volk, die einen Gottessohn gebar, gewesen sein muss, zeigt die Symbolik: Maria und Jesus tragen fast identische prächtige Kronen. Die Mutter steht dem Sohn hier in nichts nach. Sie kniet auch nicht etwa vor ihm, um die Krone zu empfangen, sondern sie sitzt neben ihm – und damit, wenn man das Bild weiterspinnt, auch sehr nahe bei Gott, zu dessen Seite Jesus im Himmel ja sitzen soll. Außerhalb der kirchlichen Kreise ist das Mittelalter künstlerisch unter anderem geprägt vom Minnesang. Walther von der Vogelweide starb um 1270, also 100 Jahre, bevor unsere Retschower Kirche gebaut wurde. Er leitete eine Blüte im Minnesang ein. Kein Herrscherhof, der auf sich hielt, kam ohne Troubadour aus und die meisten adligen Herren dichteten und sangen auch selbst. Und natürlich waren die Damen der Gesellschaft Gegenstand dieser Dichtungen. Was den weltlichen Herren diese Minnesänge an die Damen ihres Herzens waren, das waren den Mönchen möglicherweise die Mariendarstellungen und die Marienfeste, die damals zahlreich waren. Unsere Marienkrönung ist ein schönes Abbild ihrer Verehrung.
Ave Maria als Spruchband über dem gesamten Altar
Sei gegrüßt! Du Königin der Himmel, du Mutter des Königs der Engel, oh Maria, du Blume der Jungfrauen, gleich wie ein Fels Maria
Dieser Text umspannt unseren Altar, er krönt ihn gewissermaßen. Retschow hat sein eigenes Ave Maria. Es gibt sehr viele verschiedene Versionen dieses Gebetes. Immer steht am Anfang der Gruß, den der Engel Gabriel Maria in der Verkündigungsszene entbot. In katholischen Kirchen ist das Ave Maria bis heute nach dem Vaterunser das wichtigste Gebet. Und es ist in verschiedenen Varianten auch vertont worden. Die Version von Johann Sebastian Bach ist vielleicht die bekannteste, aber bei weitem nicht die einzige Komposition zu diesem Thema. In den Vergleichen, die in diesem Text gezogen werden, zeigt sich, wie die Menschen im Mittelalter Maria sahen. Maria als Königin der Himmel, als Blume der Jungfrauen, als Fels. Die Menschen setzten auf sie, sie hatte viele verschiedene und zum Teil sehr menschliche Seiten und sie war ihnen näher, als viele andere Heilige. Den Text hier in Retschow muss man aufmerksam lesen. Ein Wort verbirgt sich an der Seite, nur wer den Altar genau betrachtet, findet den kompletten Text. Über das Wort „roca“ - ganz rechts – wird auch heute noch gestritten. Es gibt Freunde unserer Kirche, die dort oben „Rosa“ lesen – also nicht gleich einem Fels, sondern gleich einer Rose – Maria. Wir lassen Ihnen da gern die Wahl: Sehen Sie Maria als Fels in der Brandung oder als ganz besondere Blume – es ist sicher beides richtig.
Marias Leben als Wandmalerei
Die auf der Südseite unserer Kirche, über der Tür zur Sakristei, erhaltene Wandmalerei zeigt auf drei Ebenen Szenen aus Marias Leben. Die Wandmalereien stammen aus der Bauzeit der Kirche, sie waren ihre erste Innenausstattung. Natürlich wurden sie in den Jahrhunderten immer wieder restauriert oder nachgemalt, mit mehr oder weniger Sachverstand. Aber immerhin haben alle Generationen, die diese Kirche nutzten, es geschafft, das Bildprogramm zu erhalten. Maria hört auf, eine Frau wie jede andere zu sein, als sie Jesus zur Welt bringt – diese Darstellung ist die Basis des Wandbildes. Maria kniet neben dem Lager ihres Neugeborenen, Josef und drei Hirten stehen dabei, hinter ihnen lagert die Herde, ein Engel beobachtet die Szene und aus dem Stall, der hier in schönster norddeutscher Backsteingotik ausgeführt ist, schauen Ochs und Esel zu. Das ist die Weihnachtsdarstellung, wie sie in tausenden Kirchen zu finden ist. Die Künstler, die in Retschow gearbeitet haben, holten sie mit der Gestaltung des Stalls in die Region. Maria sollte eine Frau aus dem Volk sein und den widerspenstigen Bewohnern dieser Gegend die Mutter des Heilands nahe bringen. In den beiden äußeren Bildern über dieser Weihnachtsszene wächst Jesus heran. Links wird er von den Eltern mit etwa sieben Jahren im Tempel vorgestellt. Maria ist ganz stolze Mutter, die ein wohlgeratenes Kind in die Gemeinde einführt. Doch das bleibt nicht lange so. Rechts ist Jesus etwa zwölf und disputiert mit den Gelehrten im Tempel. Wunderbar ist hier, wie wir finden, das Zwiespältige dieser Situation dargestellt. Im Zentrum der selbstbewusste Halbwüchsige, der sich seiner Kräfte, seines Wissens, seiner Besonderheit allmählich bewusst wird, ihm zur Seite je drei Gelehrte, die es amüsant zu finden scheinen, mit diesem Jugendlichen zu debattieren. Maria und Josef stehen im Hintergrund. Und sie sehen nicht stolz aus, sondern eher erschrocken und betrübt. Es ist der Moment, in dem sie begreifen müssen, dass dieses Kind nicht mehr nur ihr Sohn ist, dass er seinen eigenen Weg geht, auf dem er sie im Grunde nicht mehr braucht. Für sie waren die Gelehrten im Tempel bisher die höchste Instanz in ihrem Glauben. Und nun gibt ihr Kind ihnen Widerworte. Maria und Josef sind Eltern, denen der Zugang zu ihrem Kind entgleitet. Die Körpersprache der Figuren trifft das wunderbar. Das mittlere Bild in dieser Reihe zeigt Maria auf dem Totenbett. Die Jünger Jesu sind um sie versammelt und trauern um sie. Aber im oberen Teil dieses Bildes ist sehr anschaulich gemacht, dass es zur Trauer eigentlich keinen Grund gibt. Man sieht nur noch Marias Füße, von Engeln umschwebt. Maria ist auf dem Weg in den Himmel. Dort ist sie im obersten Bild schließlich angekommen. Und wieder sitzt sie bei ihrem Sohn und erhält von ihm die Krone. Gleichauf mit ihm platziert, auf einer Bank oder auch einem Thron. Und die Engel um sie herum drücken Zustimmung aus. Diese Wandmalerei ist die eindrucksvollste und umfassendste Marien-Darstellung in unserer Kirche.
Marien-Feste / Marien-Pflanzen
Die Zuwendung zu Maria hat sehr stark den Alltag der Menschen durchdrungen, weil Maria eben jene Frau und Mutter war, die Mensch blieb, obwohl sie Gottes Sohn gebar. Um sie zu ehren und sich ihrer Hilfe zu versichern, schufen die Christen in verschiedenen Regionen zum Teil eine Vielzahl von Marien-Gedenk- und Festtagen. Sie zogen sich durch das gesamte Jahr. Einige Beispiele:
Das Hochfest der Gottesmutter, 1. Januar Mariä Verkündigung am 25. März, Mariä Heimsuchung am Juli, im Römischen Kalender am 31. Mai Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel (Mariä Himmelfahrt), 15. August Mariä Geburt, 8. September Mariä Namen, 12. September Gedächtnis der Schmerzen Mariens, (Mater dolorosa), 15. September (Mariä Empfängnis), Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, 8. Dezember (als Anna mit Maria schwanger wurde)
In verschiedenen Regionen gibt es dann noch spezielle Marienfeste, die Tagen zugeordnet sind, an dem beispielsweise Menschen Marienerscheinungen erlebt haben.
Darüber hinaus wurden Maria zahlreiche Pflanzen zugeordnet. Der Mai, der Monat, in dem die Natur wieder erwacht und erblüht, ist der Marienmonat schlechthin. Leben und Fruchtbarkeit sind in dieser Symbolik mit Maria verknüpft. Und sowohl in der Kunst als auch in den Gärten des Mittelalters wurde diese Verehrung durch Blumen und Heilpflanzen symbolisiert. Die Rose ist Maria zugeordnet, das ist noch allgemein bekannt. Die Lilie steht für die Verkündigung, für die Reinheit der Jungfrau, die Jesus gebären soll. Gänseblümchen stehen für die Tränen der Muttergottes. Wegerich ist ein Symbol für die Heilige Familie Die Erdbeere steht für die jungfräuliche Mutterschaft. Die Iris mit ihrer einer Krone ähnlichen Form für die Himmelskönigin. Lavendel, Veilchen, Maiglöckchen und Königskerze, Akelei und noch zahlreiche andere Pflanzen stehen für verschiedene Seiten und Eigenschaften, die vom Volksglauben Maria zugeschrieben werden. Und es ist recht wahrscheinlich, dass auch um die Retschower Kirche herum nach deren Bau etliche dieser Pflanzen zu finden waren.
(Quelle: das Buch „Pflanzenwelt und Christentum“ von Annette Lukesch)
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