Dorfkirche Retschow

Altar - Dorfkirche Retschow

Der Altar

Etwa 100 Jahre nach ihrer Fertigstellung erhielt die Retschower Kirche einen wertvollen Altar. Er ist auf den ersten Blick etwas überdimensioniert für die kleine Dorfkirche. Es handelt sich um einen Flügel- oder Wandelaltar, der um 1480 mutmaßlich zunächst für eine Lübecker Kirche geschaffen wurde. Als dort die Ausstattung erneuert wurde, kam der Altar nach Retschow.

In drei Wandlungen zeigt der Altar auf Tafelgemälden und in geschnitzten Figuren ein unterschiedliches Bildprogramm. Ist er komplett geschlossen, sind von links nach rechts gesehen vier Tafelgemälde mit der Gregorsmesse, der Heiligen Sippe, der Sakramentsmühle und der Verkündigungsszene zu sehen. Zwei Details an dieser Verkündigungsszene lassen Kulturhistoriker vermuten, dass der Altar ursprünglich aus einer Rostocker Werkstatt stammt: Das Krönchen am Zepter des Erzengels ist identisch mit den Krönchen an den Zeremonialzeptern der Rostocker Universität. Und das T- oder Tau-Kreuz, das das zu gebärende Kind schon auf dem Rücken trägt, deutet ebenfalls darauf hin, weil es auf mehreren Altären, die der Rostocker Werkstatt zugeschrieben werden, so abgebildet ist.

Sind die äußeren Flügel des Altars aufgeklappt, erkennt man acht Passions-Szenen – ungewöhnlich ist hier, dass das Bildprogramm in Retschow mit der Kreuznagelung endet. Weiter verbreitet ist die Darstellung des sterbenden oder gestorbenen Christus am aufgerichteten Kreuz. Komplett geöffnet zeigt der Altar auf neun Bildern geschnitzte und teilweise vergoldete Heiligenfiguren mit einer Marienkrönung als zentrales Motiv.

Die Umschrift über dem Altar lautet übersetzt:

Sei gegrüßt Du Königin der Himmel, Du Mutter des Königs der Engel, Oh Maria Du Blume der Jungfrauen, gleich wie ein Fels (eine Rose) Maria

Die Sakramentsmühle – ein herausragendes Detail des Retschower Altars

Für die Menschen im Mittelalter waren die Darstellungen in ihren Kirchen so etwas wie Bilderbücher: Da sie nicht lesen konnten, wurden die Bibelworte, die sie vom Pastor hörten, durch die unterschiedlichsten Darstellungen illustriert. Zum schwierigsten, das die Bibel zu bieten hat, gehört die Menschwerdung Christi. Das Bibelzitat „Das Wort ward zu Fleisch“ ist bis heute schwer zu fassen. In der Darstellung auf unserem Altar wird es sehr direkt umgesetzt:

Ganz oben im Bild sehen Sie die vier Evangelisten, Johannes, Markus, Matthäus und Lukas, dargestellt durch ihre Symbole: Der Mensch oder Engel versinnbildlicht Matthäus, der Löwe Markus, der Stier Lukas und der Adler Johannes. Die Evangelisten haben jeder auf seine Weise das Leben von Jesus Christus dokumentiert – in ihren Evangelien. Jedes dieser Evangelien beginnt mit anderen Worten und diese Worte sind auf den Spruchbändern festgehalten, die die Evangelisten auf dem Bild in die Mühle gießen.

Was in der Mühle geschieht, ist nicht genau zu sehen, aber die 12 Apostel, die Jünger Jesu, drehen die Mühle und sorgen damit quasi für den Wandlungsprozess. Nachdem die Worte in der Mühle also gemahlen wurden, purzelt aus dem Mehlschacht ein lebendiges Kind heraus – direkt in den Abendmahlskelch, der von den vier zur Entstehungszeit des Altars bekanntesten Kirchenvätern gehalten wird: Ambrosius, Gregor, Hieronymus und Augustus. Diese Vier symbolisieren also die Kirche, die das Jesuskind in Empfang nimmt.

Es gibt Bibelzitate, die sehr häufig auf Altären oder im Bildprogramm der Wandmalereien in Kirchen illustriert sind. Die Sakramentsmühle allerdings ist äußerst selten. Nur 27 Mal taucht sie in ganz Europa auf, nur sieben Mal in Deutschland, vier dieser Darstellungen finden sich in Mecklenburg-Vorpommern: Hier in Retschow, auf dem Mühlenaltar im Doberaner Münster, in der Universitätskirche in Rostock und als wunderschön geschnitzte Version in der Kirche von Tribsees.

Die Darstellung in Retschow hat die zusätzliche Besonderheit, dass hier tatsächlich ein kleines Kind aus dem Abendmahlskelch schaut – in den meisten anderen Darstellungen beließ es der Künstler bei einer Andeutung oder einem Lichtstrahl.

Ab dem 15. Jahrhundert wendet sich auch die Kirche selbst stärker der Marienlegende zu und damit der etwas natürlicheren Darstellung der Menschwerdung Christi. In unseren Wandmalereien zum Leben Marias und zur Verkündigung, die auch am Altar noch einmal zu sehen ist, finden Sie sie wieder.

Das Bild mit der Sakramentsmühle gehört zu den zwei bereits restaurierten in unserer Retschower Kirche – das andere ist eine Darstellung der Heiligen Sippe auf der anderen Altarseite. Die Restaurierung wurde finanziell unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.




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